Donnerstag, 26. November 2015

Abschlussbericht. Nie hätte ich gedacht, dass 12 Monate so schnell vorbeigehen könnten. Ich hätte anfangs auch nicht gedacht, dass der Abschied so schmerzen würde und dass es mir das Herz brechen würde, dieses wundervolle Land samt ihrer Leute verlassen zu müssen. Als wir am 10. September 2014 früh morgens in Santa Cruz ankamen, noch überhaupt nicht realisiert hatten, auf was für einen Boden wir denn gerade das erste Mal den Fuß gesetzt hatten, wusste ich nicht, was auf mich zukommen werden würde. Aber eines wusste ich genau: Ich freue mich auf das was kommt, denn egal was passieren wird, es wird mich wachsen lassen. Schon wenige Stunden später, als ich von meiner „Gastmutter“ das Haus, in dem ich mich in dem ganzen Jahr nie richtig Zuhause gefühlt hatte, gezeigt bekam, kam die erste Ernüchterung.
Von Anfang an hatte ich nie das Gefühl, dass bei meiner „Gastoma“ großes Interesse an meiner Person besteht, ein paar wichtige Dinge wurden mir ans Herz gelegt, das war’s auch. Mir zu sagen, in welche Richtung denn der Bus in Zentrum fährt, war schon zu viel verlangt. So war die erste Zeit ziemlich anstrengend und teilweise fühlte ich mich hilflos und allein. Als aber die ersten Schwierigkeiten überwunden waren, die ersten Wochen im Projekt vergangen waren, ich meine Kolleginnen besser kannte und mich nicht mehr täglich verlief, konnte ich endlich anfangen zu genießen und richtig zu leben.
Mit dem Desinteresse „Zuhause“ hatte ich mich abgefunden, dafür hatte ich tolle Beziehungen in der Kindertagesstätte mit den anderen Erzieherinnen geschaffen, die mir die ersten Monate ziemlich erleichtert hatten. Doch leider kam Mitte Dezember dann eine für mich sehr traurige Nachricht, denn meine drei Kolleginnen würden nach den Ferien nicht wiederkommen.
So ging die Ferienzeit vorbei, wir verreisten viel und schließlich stand auch schon das Zwischenseminar an.
Dann, Anfang Februar, ging die Arbeit in der Kindertagesstätte wieder los, mit drei neuen Kolleginnen die mir zunächst nicht sehr zusprachen. Doch nachdem das Eis auf beiden Seiten getaut war, merkte ich schon, dass ich auch mit ihnen eine schöne Zeit haben könnte. Eine der neuen Kolleginnen, die ich heute meine beste bolivianische Freundin nennen darf, meinte jetzt zu mir, sie habe sich früher nicht getraut mich anzusprechen und hatte Scham, vor mir zu singen oder zu tanzen. Sie war bis zu meinem Abschied in der KiTa für die Kleinsten zuständig, und ich bin ihr sehr dankbar für alles was sie für mich und mit mir getan hat.
Die anderen beiden Erzieherinnen wurden leider ständig ausgewechselt, wodurch ich mich die ganze Zeit an andere Kolleginnen gewöhnen musste. Das war aber manchmal ziemlich schwer, weil teilweise auch Frauen eingestellt wurden, die überhaupt kein Interesse an den Kindern zeigten und überhaupt nichts mit ihnen gemacht haben. So verging die Zeit, von Hochs und Tiefs bestimmt. Ich habe die Zeit mit den Kindern genossen, die mir zwar teilweise den letzten Nerv geraubt haben, aber trotzdem für mich das Wichtigste auf Erden waren. Und das wollte ich ihnen auch zeigen, ich gab ihnen so viel Liebe wie möglich, damit sie merken, dass sie etwas Tolles und Besonderes sind. Ich gab und gab und gab, und in den letzten Monaten habe ich all das, was ich gegeben hatte, wieder zurückbekommen.
Die Leute um mich herum machten diese Zeit zur schönsten meines Lebens, zeigten mir gegenüber so viel Respekt und Dankbarkeit. Sie behandelten mich nicht wie eine nichtswissende Gringa, sondern wie eine von ihnen. Sie ließen mich an allem teilhaben, nahmen mich mit zu Festen, stellten mir ihre Familien vor, brachten mir bei, wie man bolivianische Gerichte zubereitet und typisch tanzt. Und so weiter. „Gerade dann, wenn es am schönsten ist, muss man gehen“. Das kann ich nur bestätigen.
Richtig bewusst, dass dieses eine Datum kurz bevor stand, wurde mir nie.
Das erste Mal darüber nachgedacht, dass diese Zeit bald vorbei sein würde, habe ich, als wir die August-Gruppe am Flughafen verabschieden mussten. Das machte mir klar, dass ich nur noch vier Wochen hatte, die ich in vollen Zügen ausnutzen musste.
Dadurch, dass ich in diesen letzten Wochen so viel gemacht hatte und kaum Zuhause war und Zeit zum Nachdenken hatte, war dann das Abflugdatum irgendwann da, ohne dass man viel darüber nachgedacht hatte und bereit dazu war, musste man seine Sachen packen, Leute verabschieden - seine neu gewonnene Heimat verlassen, obwohl man doch gerade erst richtig angekommen war. Man stieg also in ein Flugzeug, den Gedanken im Kopf, dass man in ein paar Stunden wieder in Deutschland sein würde. Akzeptieren konnte man diese Tatsache aber trotzdem nicht. Ich fühlte mich, als würde nur mein Körper in dem Flugzeug sitzen, als wären mein Herz und mein Kopf in Bolivien zurückgeblieben.

Ich bin dankbar für alles, was ich in diesem Jahr erleben durfte. Ich habe die tollsten Menschen kennengelernt, denen ich so viel zu verdanken habe.
Sie haben diese Zeit unvergesslich gemacht, durch alles was sie mir gegeben haben und was sie mit mir geteilt haben.
Es gibt glaube ich nicht viel Schöneres, als Teil einer neuen Kultur zu werden, sich zuhause zu fühlen an einem Ort, an dem man sich anfangs noch so fremd und verloren gefühlt hatte.

Ich werde zurückkommen, und hoffe, dass dann noch nicht zu viel Zeit vergangen ist, dass ich die gleichen Leute und Umstände noch antreffen kann.

 „Eso no es un adiós sino un hasta pronto“ – Das ist kein Abschied sondern ein bis bald. Das ist eins, was sicher ist.







... nach fast 3 Monaten in Deutschland
Wieder in Europa zu sein, war ein ziemlich komisches Gefühl. Schon am Flughafen in Madrid fiel uns allen auf, wie anders und komplizierter hier alles ist. Unsere Handgepäcke wurden bin aufs kleinste Detail kontrolliert, vor Abflug in Bolivien führten die Kontrolleure lieber lockere Gespräche mit uns und meinten, wir sollten doch bald wieder kommen.
In Frankfurt erwartete mich Mama schon erwartungsvoll und wir machten uns auf den Weg zum Bahngleis. Plötzlich alles wieder deutsch, alles gestresst, alles irgendwie komisch. Wie in einem Traum, alles zieht an einem vorbei uns man nimmt alles wahr aber andererseits auch doch nicht.
Im Zug alles still, dann eine Durchsage: wegen Personen auf dem Bahngleis kommt es zu ca. 30 Minuten Verspätung. Große Aufregung im ganzen Abteil, in meinem Kopf nur: Was würden die Leute in der halben Stunde wohl Sinnvolles tun?
Ich glaube ich hatte den Geruch unseres Hauses nie zuvor so wahrgenommen, wie an diesem Tag. Auch unser Auto hatte diesen Geruch, den es einfach immer hatte. Irgendwie hatte sich nichts verändert, aber andererseits auch alles.
Personen, die einen zuvor ständig begleitet hatten, waren nicht mehr präsent, Umstände hatten sich geändert. Es gab keinen deutschen Alltag mehr für mich, keine Anhaltspunkte. Morgens wachte ich in den ersten Wochen immer auf, und wusste nicht wofür ich den Tag nutzen sollte. Natürlich war es schön, die Familie wiederzusehen, im Wald spazieren zu gehen und die Weite zu genießen.
Die Stille, die Möglichkeit mal ganz alleine an irgendeinem Ort zu sein, Zeit für sich zu haben... Was mir in Santa Cruz oft gefehlt hatte, war jetzt wieder möglich. Wenn ich mich jetzt aber für eines entscheiden könnte, würde ich nicht die Stille wählen sondern das nie stillstehende Treiben der heißen Großstadt, das Gekreische der Kinder und das Gekrächze der Papageien, das mir so oft den Schlaf raubte. 

Bolivien hat mich verändert, meine Denkweise, meine Ansichten und viel mehr. Ich bin jetzt für viele Dinge viel sensibilisierter und interessierter, setze mich mit mehr Interesse und intensiver mit Dingen auseinander. Es hat mich mutiger, stärker und entschlossener gemacht und mir vor allem eins gezeigt: Was man gibt, bekommt man auch zurück.